Es war einmal die Verlobung … Und zu ebenjener Zeit – sie liegt noch gar nicht so weit zurück -, war es selten die Liebe, die den Bund fürs Leben stiftete. Es ging nicht um die Erfüllung romantischer Gefühle, sondern um pragmatische Erwägungen. Diese zielten je nach Stand und Herkunft der beiden Ehepartner auf recht unterschiedliche Notwendigkeiten. So war ein Bauer zur Bewältigung seiner täglichen, harten Arbeit auf ein zupackendes Weib angewiesen und auf einen reichen Kindersegen, der
Entlastung im Alltag wie im Alter bedeutete. Und natürlich brauchte er auch einen Erben, der dereinst den Hof weiterführen würde.
Für einen jungen mittellosen Handwerksburschen des 18. und 19. Jahrhunderts, der nach einer dreijährigen Lehrzeit und dem Ende seiner Wanderjahre als Geselle arbeitete, war eine Ehe mit der Tochter oder Witwe eines Handwerksmeisters die einzige Möglichkeit, selbst Meister zu werden. Denn nur auf diese Weise hatte er die Möglichkeit, anerkanntes Mitglied seiner Zunft zu werden. Selbstverständlich verlangte die Zunft von ihm zusätzlich den Nachweis einer ehrlichen Geburt und eines untadeligen Lebenswandels. Für das Großbürgertum des 19. Jahrhunderts begründete eine Heirat traditionell immer auch eine Geschäftsverbindung.
Oft brachte die Braut eine bedeutende Mitgift in die Ehe ein. Auch erhöhte die Verbindung zweier wohlhabender und angesehener Familien deren Ansehen, steigerte die Kreditfähigkeit und führte zu neuen Geschäftsbeziehungen, während alte gefestigt wurden. Für alle Beteiligten war sie also ein glänzendes Geschäft. Und durch die zunehmende Mobilität wuchs die Chance, wenn nicht die große Liebe, so doch immerhin einen Menschen zu ehelichen, dem man einige Sympathie entgegenbringen konnte.
War die Zeit für eine Verehelichung gekommen, folgte auch die Werbung, die einer Verlobung voranging, anderen Regeln als wir sie heutzutage kennen. So war es allgemein üblich, dass nicht der Bräutigam auf Brautschau ging, sondern ein Brautwerber mit dieser Angelegenheit beauftragt wurde. Das konnte je nach sozialem Stand des Bräutigams ein Freund oder aber ein offizieller Brautwerber sein. Diese trugen klingende Namen wie zum Beispiel Bitteismann in der Steiermark, Degensmann in Niedersachsen, Hillichsmacher in der Eifel oder Schmuser in Bayern.
Solche Ehevermittlung war allerdings kein europäisches Phänomen, sondern in der ganzen Welt zu finden. In Afrika vermittelte ein Brautschauer die Eheschließung, in Asien stifteten Hochzeitshelfer die Ehe. Die Aufgaben eines Heiratsvermittlers waren mannigfaltig: Es hieß, die rechte Bram lind den geeigneten Bräutigam zu finden, die Familien vom Heiratswunsch in Kenntnis zu setzen, zu vermitteln und Geschenke zu überbringen. Die Art der Eheanbahnung war von Region zu Region und von Land zu Land unterschiedlich: So erschien ein Brautwerber in Polen beim Vater der Braut mit einer Flasche Wodka, die mit einem immergrünen Zweig und einer roten Schleife verziert war. Wurde die Werbung akzeptiert, übergab die Braut dem Brautwerber ein Brot, das in ein weißes Stück Stoff gewickelt war, und der Brautvater demonstrierte seine Zustimmung, indem er einen kräftigen Schluck Wodka nahm. Stimmte der Vater der Eheschließung nicht zu, brachte die Braut diese Ablehnung durch einen in ein schwarzes Tuch gehüllten Brotlaib zum Ausdruck; die Flasche Wodka wurde allerdings dennoch gemeinsam geleert.
In Japan revanchierte sich die Familie der Braut für ein Geschenk des Bräutigams mit einem sakegefüllten Lackbecher. In Holland wurde dem Brautwerber zum Zeichen der Zustimmung ein Hylimaker, ein Honigkuchen angeboten. Kehrte er aber mit dem leeren Korb heim, in dem die Brautfamilie zuvor den Kuchen aufbewahrt hatte, so signalisierte dies, dass er einen Korb bekommen hatte.
Der offiziellen Bekanntgabe einer Verlobung ging oftmals ein zähes Ringen um die Heiratsbedingungen voraus. Es galt, die Mitgift der Braut, die Höhe des Brautpreises, den der Vater des Bräutigams an die Familie der Braut als Entschädigung zu zahlen hatte, und Erbschaftsangelegenheiten auszuhandeln. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war wiederum je nach Herkunft und Stand der beiden Brautleute unterschiedlich zu beurteilen. Eine Aussteuer, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in bürgerlichen Kreisen aus der persönlichen Wäsche und der Haushaltswäsche der Braut bestand und etwa fünf Prozent der gesamten Mitgift ausmachte, galt als bescheiden, wenn jeweils drei Dutzend Wäschestücke vorhanden waren, als üppig, wenn Bettlaken, Handtücher, Tischwäsche, Überzüge, Schürzen für die Dienstmädchen usw. jeweils zu zwölf Dutzend mit in die Ehe gebracht wurden. Ansonsten unterschied sich eine luxuriöse Aussteuer von einer bescheideneren eher durch die Kostbarkeit der Materialien und die Qualität der Verarbeitung als durch die bloße Quantität. Das zeigt etwa die Aussteuer der Comtesse de Pagne im Jahre 1910, die aus einer Vielzahl von spitzenbesetzten Unterröcken und zartseidenen Unterhosen, unzähligen Korsettstangen, feinsten Strümpfen, eleganten langen Handschuhen für die Abendgarde-robe, drei Kostümen für den Tag mit den passenden kurzen Handschuhen, des weiteren aus einem Ottermantel, einem Silberfuchs, einer Stola aus Zobelfell und vier großen, mit Federn und Blumen reich verzierten Hüten bestand.
In bäuerlichen Kreisen gehörten zu einer üppigen Aussteuer möglichst viele Wäschestücke, da ja nur zwei- oder dreimal im Jahr gewaschen wurde. War man sich über die Ausgestaltung des Heiratsvertrages einig, begann die offizielle Verlobungszeit. Die frisch Verlobten tauschten nun Geschenke und Ehepfänder aus, wozu Bänder, Münzen, Taschentücher und Schmucknadeln gehörten – und natürlich auch der Verlobungsring: Schon in römischer Zeit übergab der Verlobte ihn seiner Auserwählten, damit sie ihn als äußeres Zeichen ihres Einverständnisses am Ringfinger der linken Hand trage.
In den gehoben-bürgerlichen Kreisen des vorigen Jahrhunderts überreichte der Bräutigam den Verlobungsring bei einem Verlobungsdiner, das die Eltern der jungen Braut ausrichteten. Die Eltern des Bräutigams revanchierten sich für diese Einladung mit einem Diner, das etwa eine Woche später stattfand. Bei dieser Gelegenheit durfte auch die Verlobte ihrem Auserwählten ein Geschenk machen, so zum Beispiel einen Herrenring oder ein Medaillon, in dem sich ihr Porträt oder eine Locke verbarg.
Nach polnischer Sitte feierte man die Verlobung, indem man Brote austauschte, die dann an Kinder und Arme verschenkt wurden. Das von den Brauteltern ausgerichtete Festessen bestand aus Äpfeln, Brot und Weißkäse. Die Braut erhielt ein Paar rote Hochzeitsschuhe geschenkt. Sie wiederum schenkte ihrem zukünftigen Mann ein weißes Hemd, das sie selbst genäht und bestickt hatte und das er bei der Hochzeit trug.
In China erhielt die Braut als Verlobungsgeschenk ein goldenes Schmuckstück als Symbol für Glück und Reichtum. Der Verlobte musste als Teil des Brautpreises das rote Hochzeitskleid aus reiner Seide bezahlen. Auch wenn er zu arm war, um einen Brautpreis aufzubringen, so musste er doch mindestens das seidene Hochzeitskleid als kleinstmöglichen Preis für die Braut zahlen. Um das Gelöbnis, einander zu heiraten, symbolisch zu besiegeln, tranken die Verlobten vielerorts den Wein aus einem Glas und aßen mit nur einer Gabel von einem speziellen Verlobungsteller.
Wie lange die Verlobungszeit währte, hing von den verschiedensten Umständen und Gebräuchen ab. So konnte eine Verlobung im Mittelalter auf Grund der oftmals großen Entfernung der Verlobten voneinander oder durch kriegerische Verpflichtungen des Bräutigams vielfach Jahre dauern.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts galt in bürgerlichen Kreisen eine Verlobungszeit von mehreren Monaten als schicklich; auf jeden Fall sollte sie mindestens drei Wochen betragen. So kurze Verlobungszeiten waren nicht ungewöhnlich, wie einem Artikel der Zeitschrift La Corbeille vom 1. Dezember 1844 zu entnehmen ist: Vor der eigentlichen Ballsaison gibt es eine Hochzeitssaison, in der man die sogenannten Sommerhochzeiten feiert, weil sie das Ergebnis von Begegnungen im Sommer sind – am Strand, auf dem Landschloss, auf Reisen. Die weiteren Hochzeiten bezeichnete man als Winterhochzeiten, weil sie meist Folge eines Konzerttanzes oder einiger höflicher Worte waren, die man im Konzert gewechselt hatte.
Während dieser Zeit sollten die frisch Verlobten einander kennenlernen, wenn dies auch nur in eingeschränktem Maße möglich war. Im 19. Jahrhundert war es Sitte, dass der Bräutigam die Auserwählte täglich besuchte, um ihr den Hof zu machen. Aber natürlich war stets die Mutter oder ein anderes Familienmitglied als Anstandsperson mit von der Partie. Selbst Briefe, welche die junge Frau von ihrem Verlobten erhielt, mussten zuerst die strenge Zensur der Mutter passieren.
Es ging im Bürgertum sehr schicklich zu – ganz im Gegensatz zu der bäuerlichen Sitte, das Lager zunächst probeweise miteinander zu teilen und sich erst zu verloben, wenn ein Kind tatsächlich schon unterwegs war.
Während der Verlobungszeit besuchte der Bräutigam seine Auserwählte oft täglich. Dabei achtete die Familie der Braut peinlichst genau darauf, die zukünftigen Eheleute nicht alleine zu lassen. Stets war mindestens eine Anstandsperson zugegen.